In der modernen Arbeitswelt sind wir mit steigenden Leistungsansprüchen, abnehmender Arbeitsplatzsicherheit, sinkendem Vertrauen zwischen Mitarbeitern und zunehmenden Tendenzen zum Mobbing konfrontiert. In der Konsequenz nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass unser physisches und psychisches Wohlbefinden abnimmt oder wir gar in die ernste „Burnout-Falle“ geraten.
Im Gegensatz zu den die Lebensqualität potenziell reduzierenden arbeitsbezogenen Stressfaktoren widmet sich der vorliegende Beitrag dem adaptiven psychologischen Konstrukt, des „Flow“, der sowohl bei Freizeitaktivitäten als auch bei der Arbeit auftreten kann. Flow besitzt fast ausschließlich positive Konnotationen und ist sowohl unserem körperlichen als auch seelischem Gleichgewicht und somit der Lebensqualität förderlich. Regelmäßige Flow-Erfahrungen stellen einen potenziellen Schutzfaktor gegen die o.g. Belastungen des Arbeitslebens dar. Flow stellt ein bedeutendes psychologisches Konstrukt aus dem Gebiet der „Positiven Psychologie“ dar – Psychologinnen und Psychologen beschäftigen sich nicht nur mit psychischen Belastungen und Erkrankungen!
Denken Sie an Freizeitaktivitäten, die Ihnen Spaß machen – vielleicht Sport, Tanzen, Musikhören oder Lesen – und an Tätigkeiten und Aufgabenstellungen Ihrer Arbeit, die Ihnen viel Freude bereiten. Kennen Sie die Empfindung, von einer Aktivität total in den Bann gezogen zu werden, das Gefühl völliger Konzentration auf die Aufgabe, einer veränderten Wahrnehmung der Zeit und das Gefühl, quasi mit der Aktivität zu „verschmelzen“? In Situationen, in denen Sie diese positiven und stimulierenden Emotionen verspüren, sind Sie im Zustand des Flow (Englisch „Fließen, Strömen“) – des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit. Flow kann somit prägnant als Erfahrung des Gefühls völliger Konzentration auf und Vertiefung in eine Aktivität oder Erfahrung definiert werden.
Der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi war der Wegbereiter der in 1975 einsetzenden und bis heute aktuellen Flow-Forschung. In Interviews befragte er Schachmeister, Basketballspieler, Tänzer und Bergsteiger wie es sich anfühlt, sich völlig auf ein Spiel zu konzentrieren, eine Spitzenleistung anzustreben oder das Bezwingen eines Berges in Anbetracht der Herausforderungen und Gefahren zu meistern. Bei Sportlern und Athleten werden die mit Spitzenleistungen einhergehenden, motivierenden und manchmal gar leicht euphorischen Zustände als „being in the zone“ bezeichnet.
Flow-Zustände treten jedoch nicht nur bei Spitzensportlern und nicht nur im Sport auf. Studien belegen, dass ca. 20 Prozent der Europäer häufig Flow-Zustände sowohl im Beruf als auch in der Freizeit erleben. Dabei steigern das wiederholte Erleben von Flow sowohl unser körperliches als auch unser mentales Wohlbefinden. Denn Flow ist verbunden mit intensiver Hingabe und Freude, intrinsischer Motivation sowie dem Gefühl von Zufriedenheit und Belohnung, welches aus dem Meistern einer Herausforderung resultiert, und Flow steigert ultimativ unser Selbstwertgefühl. Als Aktivitäten, die die Erfahrung von Flow besonders fördern, sind beispielsweise zu nennen: Sport, Tanzen, kreative künstlerische Tätigkeiten, Musikhören, Sex, Studieren – intrinsische Motivation am Studiengebiet vorausgesetzt – und auch Arbeiten.
Fähigkeit zu und Häufigkeiten von Flow-Erfahrungen sind einerseits von der Persönlichkeit abhängig und variieren andererseits über die Lebensspanne. Menschen, die Langweile schwer ertragen, Kuriosität auf Neues zeigen und einen Grad an Herausforderung lieben, bringen diejenigen Persönlichkeitsmerkmale mit sich, die Flow-Erfahrungen wahrscheinlicher machen. Mit dem Älterwerden wird es prinzipiell wahrscheinlicher, Flow im Beruf und weniger im Rahmen von Freizeitaktivitäten oder Hobbies zu erleben. Die Wahrscheinlichkeit des Flow-Erlebens hängt darüber hinaus auch von externen Parametern – insbesondere dem Raum für Kreativität im professionellen Kontext – ab. Letztlich gibt es einige Strategien zur Erhöhung von Flow-Erlebnissen.
Charakteristika von und Voraussetzungen für Flow
Im Folgenden werden wichtige Charakteristika sowie Bedingungen oder Voraussetzungen skizziert, die die Erfahrung und Intensität von Flow begünstigen:
- Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein: Das subjektive Gefühl, mit der Aktivität oder Aufgabe zu verschmelzen, ohne Notwendigkeit über das, was wir tun, nachzudenken.
- Maximale Konzentration: Völlige Absorption durch die jeweilige Aufgabe oder Aktivität mit Fokus auf den Moment. Die Aktivität scheint dabei ohne Anstrengung von der Hand zu gehen und ist nicht verbunden mit mentaler Anspannung, Versuchen, etwas zu Kontrollieren zu wollen oder dem Gefühl, Gedanken unterdrücken zu müssen.
- Abwesenheit von Angst und Kontrollversuchen: Diese Abwesenheit von Angst, etwas kontrollieren zu müssen oder die Kontrolle zu verlieren, führt paradoxerweise zu einem gesteigerten Gefühl, in Kontrolle zu sein: Der Fokus auf oder sogar die völlige Absorption von der Tätigkeit oder Aufgabe erlauben uns, das Gefühl zu entwickeln, als wären wir in vollständiger Kontrolle unserer Handlungen. Im Zustand des Flow erscheint Alles im Fluss und wird als positiv und leicht von der Hand gehend erlebt. Gefühle von Stress, Angst und Anspannung sind dagegen im Flow-Zustand abwesend.
- Verlust von Selbst-Beobachtung und Befangenheit: Erhöhte Selbstbeobachtung hat eine negative Konnotation und ist Folge der Angst, von anderen beobachtet und kritisch beurteilt zu werden; als Konsequenz fühlen wir uns dann oft nervös, ungeschickt, befangen und verlegen. Im Zustand von Flow verlieren wir diese kritische und hemmende Eigenbeobachtung, da unsere Aufmerksamkeitsressourcen vollständig auf die Anforderungen der Aufgabe oder Aktivität fokussiert sind. Die erforderliche extern-fokussierte Aufmerksamkeit minimiert die interne – auf Wahrnehmung der eigenen Person gerichtete – Aufmerksamkeit. Im Flow funktioniert das „Ich“ weitgehend, ohne sich dessen bewusst zu sein und Exekutivfunktionen der Planung und Bewertung sind uns kaum bewusst.
- Autotelisches Erlebnis: Die Aktivität bzw. Aufgabe wird um ihrer selbst willen unternommen bzw. angegangen, da sie uns belohnend erscheint. Unsere Aktivitäten sind somit intrinsisch motiviert, d.h. nicht von externer Anerkennung abhängig.
- Verändertes Gefühl für Zeitabläufe: In Flow-Zuständen verlieren wir das Gefühl für den Zeitablauf oder nehmen diesen verändert war.
- Klare Ziele der Tätigkeit und unmittelbares Feedback: Je klarer wir das Ziel einer Tätigkeit oder konkreten Aufgabe definieren können und je unmittelbare eine Rückkopplung hinsichtlich des Erfolges verfügbar ist, desto wahrscheinliche und intensiver ist dar resultierende Flow-Zustand.
Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten: Flow erfordert, dass die Anforderungen der jeweiligen Aufgabe oder Tätigkeit unseren korrespondierenden Fähigkeiten oder Skills entsprechen bzw. die Anforderungen unsere Fähigkeiten marginal übersteigen. Sind die Anforderungen vergleichsweise deutlich geringer als unsere diesbezüglichen Skills, wird keine Konzentration erfordert – die resultierende Langeweile verhindert dann gerade das Einsetzen von Flow. Im umgekehrten Fall – wenn die Anforderungen deutlich unsere Fähigkeiten übersteigen– werden wir schnell entmutig, demotiviert oder erfahren sogar ausgeprägte Versagensangst. In Konklusion: Die Erfahrung von Flow ist wahrscheinlicher, wenn die Anforderungen der Situation bzw. die externen oder selbst gestellten Aufgaben leicht unsere situationsspezifischen Skills übersteigen.
Messen Sie ihre Tendenz zum Flow
Mit Hilfe des folgenden validen und reliablen Fragebogens – dem Flow Experience Questionnaire (Csikszentmihalyi & Csikszentmihalyi, 1988) können Sie Qualität und Quantität Ihrer Flow-Tendenz grob abschätzen.
Anweisungen:
Bitte lesen Sie das Folgende und beantworten Sie die nachstehenden Fragen, aus deren Beantwortung Sie selbstredende Rückschlüsse ziehen können.
Meine Gedanken kreisen nicht und ich denke an nichts anderes. Ich bin völlig involviert in das, was ich tue. Mein Körper fühlt sich gut an. Die Welt scheint von mir abgeschnitten zu sein. Ich bin mir weniger meiner selbst und meiner Probleme bewusst.
Meine Konzentration ist wie Atmen; ich denke gar nicht daran. Wenn ich angefangen habe, nehme ich meine Umgebung kaum noch wahr. Das Telefon oder die Türschelle könnten läuten – es wäre mir egal. Wenn ich beginne, schließe ich die Welt um mich – wenn ich aufhöre, lasse ich sie wieder hinein.
Ich bin so absorbiert von dem, was ich tue, dass ich mich selbst kaum isoliert von dem wahrnehme, was ich tue.
• Sind Ihnen Erfahrungen wie die oben beschriebenen vertraut?
• Wie häufig haben Sie solche Erfahrungen?
• Was haben Sie getan, welche Tätigkeiten ausgeübt, wenn Sie solche Erfahrungen hatten?
• Was hielt solche Erfahrungen und Gefühle am laufen?
• Was beendete solche Erfahrungen und Gefühle?
Denken Sie jetzt bitte an Aktivitäten in Ihrer Freizeit, im Studium oder bei Ihrer Arbeit, bei denen Sie die geschilderten Flow-Zustände erleben oder erlebt haben. Mit Blick auf solche Flow-Zustände geben Sie bitte an, zu welchem Grad Sie den folgenden 12 Aussagen – auf einer Skala von 1 bis 9, wobei höhere Werte größere Zustimmung repräsentieren – zustimmen.
Scoring:
*) Die mit * gekennzeichneten Items 2, 6, 7, 8 und 10 sind negativer Natur und Sie müssen deren Score umkehren: 1 -> 9, 2 -> 8, 3 -> 7, 4 -> 6, (5 = 5), 6 -> 4, 7 -> 3, 8 -> 2, 9 -> 1. Summieren Sie dann bitte sämtliche Items.
Interpretation:
Je höher der Summen-Score ist, desto höher ist Ihre Häufigkeit von Flow-Zuständen. Die Skala hat eine Range von einem Minimum von 12 bis zu einem Maximum von 108.
Abschließend soll eine pragmatische Strategieempfehlung skizziert werden, wie Sie die Wahrscheinlichkeit steigern können, in Flow zu kommen. Zum Flow-Erlebnis ist prinzipiell jede Aktivität geeignet, wenn Sie:
• einen Weg finden, sich selbst herauszufordern, indem die gestellten Ansprüche etwas höher als Ihre korrespondierenden Fähigkeiten sein sollten,
• sich die Aktivität oder Aufgabe interessanter und belohnender gestalten können und
• mit Achtsamkeit beobachten können, was geschieht.
Enjoy the flow experience!
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